APC – DAY 9

Hallihalloooo. Nachdem ich 6h über diesen Tag geschrieben habe, habe ich alles in 2sek unwiederbringlich gelöscht……. Deswegen musste dann alles noch wieder von vorne angefangen werden. Und deswegen bin ich Jahrzehnte hinterher. Es geht aber weiter 😉

Viel Spaß beim Lesen von vielleicht krassesten Tag meiner gesamten Reise.


Dienstag. Um 3:50 Uhr klingelt der Wecker.

Ich wache motiviert und gleichzeitig extrem aufgeregt vor dem heutigen Tag auf. HEUTE geht es auf wahnsinnige 5416 Meter hoch. Der Tag ist gekommen, auf den ich seit 8 Tagen hinwandere. Ich kann es kaum glauben.

Alle meine Sachen habe ich gestern Abend schon bereitgelegt, also muss ich mich nur noch anziehen. Brrrr, ist das kalt. Es ist diese morgendliche, mysteriöse Kälte, die man nur während solcher Erlebnisse erleben kann. 

Ich setze meine Stirnlampe auf und den ersten Schritt vor die Türe. Es ist so unfassbar magisch. Die kalte Luft draußen, die nächtliche Ruhe, die mächtigen Berge, die mich umgeben. Es ist zwar noch nicht hell, aber um mich herum erwachen die riesigen Bergspitzen bereits aus ihrem Dunkel und nehmen langsam Konturen an. Über einer Felsspalte leuchtet ein heller Stern, als würde er den Weg dort hinein weisen, – schräg darüber der glühend scheinende Mond. In der Ferne sieht man einen einzigen schneebedeckten Gipfel zum Leben erwachen. 

Das Gefühl, was diese Stimmung auslöst, ist schwer, in Worte zu fassen. Es ist dieses Mysteriöse, Einmalige und fast schon Verbotene. Der Großteil der Menschen schlummert wohl gerade in einem Bett auf Meereshöhe – ich hingegen stehe hier voll eingepackt mit Stirnlampe in der kalten Bergluft auf über 4000 Metern; bereit, Großes zu erreichen und eine Erinnerung fürs Leben zu schaffen. Auf 5416 Meter hochsteigen. 

Ich tappse in den Gemeinschaftsraum, in dem schon etwas Leben eingekehrt ist.

Es ist schön, diese intensiven Momente teilen zu können. Die Interaktionen mit den anderen Wanderern sind so besonders. Es finden nicht viele Konversationen statt, jeder existiert in seiner eigenen Welt und seiner eigenen Vorfreude – die Stimmung ist positiv angespannt. Aber trotzdem erlebt man alles gemeinsam. 

Ich kann förmlich spüren, wie sich jeder innerlich bereit macht.

Bereit macht für den einmaligen Moment, in dem aus Aufregung, Nervosität, Anstrengung, Schweiß und einem großen Ziel plötzlich Freude, Stolz, das Erfüllen einer Leistung und eine unvergessliche Erinnerung wird. Ich kann es kaum erwarten.

Manche trinken Tee, einige putzen Zähne – jeder steht am Anfang einer individuellen, kleinen, großen Geschichte, die er heute für sich selbst schreiben wird.  

Der Hostelwirt ist schon wach – in der Saison steht er jeden Morgen um 3:30 Uhr auf, weil alle Bewohner:innen hier immer so früh zum Pass aufbrechen und von ihm ein kleines Frühstück oder Tee zubereitet bekommen. Das muss so ein anderes Leben sein. Wahnsinn.

In der Nebensaison lebt er hier alleine in seiner Hütte. Das finde ich extrem beeindruckend – für mich wäre es nichts. 

Meine Frühstücksbestellung besteht aus 2 hart gekochten Eiern.

Eines davon esse ich bereits jetzt und muss schmunzeln, weil dieses Ei definitiv einen Vaterschaftstest für Papa erspart. Ich stehe hier mitten in der Nacht aufm Berg und esse Nichts als ein Ei zum Frühstück – damit ist zweifelsfrei bewiesen: Ich bin eine Bitterlich und Papa ist zweifelsohne mein Papa. Von Mama kann das selbst mit dem besten Willen nicht kommen. Oder was meinst du Mama – Bock auf ein Ei um 4 Uhr morgens? 😉

Aufgemampft – das zweite Ei ist Wegproviant. Ich trinke noch eine heiße Tasse Wasser, um etwas meinen Flüssigkeitshaushalt ready zu machen und bezahle dann.

Ich mag den Wirt mega gerne, also gebe ich ihm gerne Trinkgeld, bin aber wohl noch etwas müde und unbeholfen.

Ich möchte ihm ein Kompliment für seine Gastfreundschaft machen; was rauskommt, während ich das Trinkgeld gebe, ist allerdings: „Thank you, I really liked ….. YOU“ Haha..

Naja gut – die Hauptintention ist, glaube ich, trotzdem rübergekommen.

Ich schultere meinen Rucksack – JETZT geht es wirklich los AAAHHHHHHH!!!

Zu meiner Freude ist mein Rucksack deutlich leichter als gestern, weil ich aktuell die meisten schweren Kleidungsstücke an mir trage. 

Wir verabschieden uns und starten in den Tag. Auch hier benötigt man ab jetzt schon fast keine Stirnlampe mehr, ich lasse meine aber trotzdem noch eine Weile an. 

Ich treffe die anderen, die einige Minuten vor uns losgedüst sind und freue mich wie ein Schnitzel. Es ist so toll, sie zu sehen und ein noch viel größeres Geschenk für mich, mit ihnen gemeinsam den Pass überqueren zu können. 

Diese Wanderung ist ab Beginn des ersten Schrittes kräftezehrend. Anfangs halte ich mich weitgehend an einen 20-Schritte-Pausen-Rhythmus. Ich laufe zwar extrem langsam, atme aber trotzdem schwer, deshalb brauche ich trotzdem nach 20-30 Schritten immer wieder eine Pause. Ich könnte auch mit weniger Pausen weitergehen, aber dann muss ich mich schon sehr pushen. Also: 20 Schritte. Tief durchatmen, 20 Schritte. 

Allein das ist schon so so hart und ich bin angestrengt und fasziniert. Dieses Höhe ist schon wirklich verrückt. 

Der Weg besteht anfangs hauptsächlich aus abgerutschten Steinen. Man merkt also schon deutlich, dass Nebensaison ist. Aufgrund zahlreicher Steinrutsche liegen überall Geröll, größere und kleinere Steine herum. Das ist für mich sehr kräftezehrend. Man hat nie wirklich festen Boden unter den Füßen, die Steine rutschen immer wieder unter den Füßen weg – und das muss man alles mit Körperspannung, Kraft und Konzentration kompensieren. Auf dieser Höhe ist das echt so viel herausfordernder als ein einfacher Kiesweg. 

Ich bin heilfroh, dass meine Wanderschuhe im Gegensatz zu den Trekkingschuhen der anderen meine Knöchel bedecken. Ohne wäre dieses Minenfeld hier ein Albtraum für mich. 

Wir machen immer wieder kleine Pausen, um etwas zu trinken und die Rucksäcke kurz abzusetzen. 

Bisman gibt ein gutes Tempo vor und lässt uns nicht zu lange Pause machen. Kurze Pause und dann weiter geht’s. Auf dieser Höhe sollen wir wegen des kalten Windes und der Luft keine langen Pausen einlegen. 

Sein Rhythmus gefällt mir echt gut, ich komme damit super gut klar. Wenn man zu lange Pausen macht, ist es sowieso jedes Mal so ein Kampf, sich wieder aufzuraffen. 

So schnaufen wir uns alle gemeinsam – jeder in seinem eigenen Tempo – gemeinsam den Berg hoch. 

Es kommt ein Stück, was es so unglaublich in sich hat. 20 Schritte-Atmen-Rhythmus papperlapapp hah. Nix da!

5 Schritte – Pause. 5 Schritte – Pause.

Shit ey, ich schaff das nicht. Push dich Maite komm schon, du packst das!!

Ein Fuß vor den anderen – go go go. 

Bibek (der Nepalese) ist mit mir gemeinsam an dieser steilen Stelle unterwegs und es ist gut für mich, zu sehen, dass auch er kämpft. 

Irgendwann setze ich den letzten Schritt und der Weg geht wieder ins Flachere über. Wir gönnen uns eine wohlverdiente Pause. Ich schaue mal eben auf mein GPS. 

Es zeigt genau 5.000 Meter an. 

AHHHHHHHHH – mein erster Meilenstein für heute. Holy freaking moly. Ich kann es nicht glauben, dass ich es jetzt einfach schon ein zweites Mal auf diese Höhe geschafft habe. Es ist wie ein Traum – so unwirklich und wunderschön. 

Kann man sich das vorstellen?

Ich sitze völlig am Ende nach diesem steilen Stück auf einem kalten Stein, blicke auf riesige Schneemonster, die mal wieder trotz meiner immensen Höhe noch ewig nach oben ragen, und kann nicht aufhören, zu strahlen. 

Ich habe das geschafft! Wegen mir kann ich jetzt gerade hier oben an diesem unglaublichen Ort sitzen.  

Ich bin jetzt schon so so stolz und glücklich, dass ich es bis hierher geschafft habe. Dieses Gefühl ist so ein riesiges Geschenk. 

So intensiv, wie es geht, genieße ich diesen Moment, bis wir dann auch schon weiterwandern. Kurze Pausen. Anweisung von Bisman. 

Der Weg zieht sich weiter und wechselt immer wieder von steilen zu flacheren Stücken.

Das liefert mir einen kleinen Vorgeschmack des großen Gipfelmoments im Minutentakt. Immer, wenn ich denke, ich kann nicht mehr, schenkt mir der Berg ein flacheres Stück, sodass ich mich freue und wenigstens etwas weniger sterbe. 

Das kann man mal wieder fantastisch aufs Leben übertragen.

Es gibt immer und immer wieder extrem steile und harte Abschnitte, bei denen man sich denkt, dass man es nicht schaffen kann. Dort kämpft man sich durch und dann kommt immer – auch wenn man es sich zwischendurch nicht vorstellen kann – ein Abschnitt, bei dem alles wieder leichter wird.. Und der fühlt sich dann umso besser an. 

Wie ich mich hier hechelnd hochkämpfe, frage ich mich allerdings tatsächlich, warum ich nicht einen anderen Lebensweg gewählt habe haha.

Ein Blick auf die Berge genügt mal wieder, um die Frage ganz leicht zu beantworten.  

Ich fühle mich zwischendurch tatsächlich so, als würde ich auf dem Mars wandern. Alles um mich herum ist so erdig-wüstig. Wir sind schon lange über der Baumgrenze, also wächst hier nichts mehr und alles sieht so ausgetrocknet aus. Allgemein wirkt alles so fremd und verlassen – es scheint für mich nicht so, als gäbe es hier Leben. 

Ich trage die Kapuze meiner Regenjacke und eine dicke Trekkinghose – außerdem drückt mich der große Rucksack in den Boden. Also fühle ich mich etwas, als würde ich in einem Raumanzug stecken. Mein Hecheln erinnert mich an das zischende Atmen, das man in Filmen immer von Astronauten in ihrer Atemkapsel hört. 

Und meine Schritte fühlen sich auch schon lange nicht mehr so an, als würde ich einfach auf der Erde spazieren. 

Es ist so außergewöhnlich, mystisch und besonders. Falls ihr den Film „Der Marsianer“ gesehen habt – daran erinnert es mich. 

Die Marsexpedition geht weiter und langsam werden meine letzten Körner aufgebraucht. 

Lange halte ich das wirklich nicht mehr durch. Mich überkommt langsam ein leichtes Gefühl von Übelkeit. Das könnt ihr euch genau so vorstellen, wie wenn man beim Joggen oder einem 800 Meter Lauf in der Leichtathletik beim Schlusssprint nochmal alles gibt und danach voll am Ende ist. In einer abgeschwächten Form, aber so lässt sich das Gefühl ganz gut beschreiben. 

Laufen, laufen, laufen. 

Atmen, atmen, atmen. 

Kämpfen, kämpfen, kämpfen.  

Immer weiter und immer höher. 

Bisman, Jorgi und David sind etwas vorne weg. Ich bin hinten mit Carla, Soubas und Bibek. 

Bibek geht es mit der Höhe wirklich gar nicht gut. Er übergibt sich tatsächlich. Ich bekomme das nicht mit – nur sein blasses Gesicht danach – und auch davor schon. Oh halleluja – das ist ja gar nicht gut. Ich hab mir von Anfang an gedacht, dass er so aussieht, als würde er schon sehr extrem kämpfen. 

Bei mir melden sich auch wieder leichte Kopfschmerzen. Umdrehen ist aber keine Option! Und bei mir momentan auch definitiv noch nicht nötig. Auch Bibek möchte weiter. 

So unterstützen wir uns alle gegenseitig und erklimmen Schritt für Schritt diese wahnsinnige Höhe. 

Irgendwann muss ja das Ziel kommen. Und das – passiert dann auch. 

Soubas zeigt mit seinem Finger auf bunt wehende Gebetsflaggen, die man in einiger Ferne erkennen kann. 

DAS IST UNSER ZIEL. 

Beflügelt von dieser Zukunftsaussicht fühlen sich Beine und Rucksack gleich halb so schwer an und ich lege etwas an Geschwindigkeit zu. 

ENDSPURT!! Die letzten Meter dieser unglaublichen Reise zum Gebirgspass. Kann sich das einer ausmalen?! Für mich fühlt es sich an wie ein Traum. 

Die Gebetsflaggen sind der Anker, an den ich mich kralle. Sie kommen immer näher und näher. 

Naja – und dann gibt es den epischen Ziel-Einmarsch. 

Nur noch wenige Meter. Die zahlreichen Flaggen und das Schild „Thorong-La-Pass“ türmen sich vor mir auf. 

Wahnsinn! ICH HABE ES GESCHAFFT. Ich stehe gerade auf 5416 Metern im nepalesischen Himalaya. Es ist so schwer zu begreifen. Alle Anstrengung fällt von mir ab und schafft Platz für immense Überwältigung.

Von einer Art, wie ich sie noch nie zuvor erlebt habe. Ich fange an zu jubeln, wir liegen uns alle in den Armen. Diese Umarmungen sind so einzigartig und besonders. 

Sie drücken Freude, Erleichterung, Stolz, Überwältigung und Liebe aus. Mir bedeutet es unglaublich viel, diesen Moment mit den anderen teilen zu können. Gemeinsam haben wir uns hier hochgekämpft und gemeinsam können wir jetzt auch diesen Moment genießen. 

Aus Erschöpfung wird bei mir schlagartig völliges Überdrehtsein – ich kann es einfach nicht fassen. 

Wir machen alle gemeinsam natürlich ganz viele Gipfelbilder und es ist einfach unglaublich schön. Einen Handstand muss ich natürlich auch probieren 😉 JUP – klappt auch auf dieser Höhe noch. 

Ich lache und laufe herum wie eine Irre. Dann bin ich extrem außer Atem und erinnere mich daran, dass ich mich immer noch auf freaking über 5000 Metern befinde. Maite – denk mal nach. Hahaha upssiiii. Also mache ich wieder etwas langsamer. 

Ich gehe mal kurz für kleine Mädchen und verschwinde hinter einer kleinen Hütte. Und: Wer kann bitte von sich behaupten, dass er schonmal auf 5416 Metern in den Schnee gepinkelt hat?! ICH SCHON! HELL YEAAAH hahaha.

Ich esse meinen Apfel, den ich seit Tag 1 meiner Wanderung als treuen Begleiter dabei habe. Er ist immer noch knackig und einer der besten Äpfel, die ich je gegessen habe. 

Saftig und energiebringend. 

Ich setze mich auf die kalte Holzbank der Hütte, die hier oben steht und packe meine Cookies aus. Die sind zu einem riesigen Batzen zusammengeschmolzen und ich beiße einfach von oben rein. Auch die schmecken fantastisch. Das zweite Ei wird auch noch verputzt, dann bin ich aber auch genug gestärkt. Dieses Ei erinnert mich wahnsinnig an unsere damaligen Familienwanderungen mit Opi. Immer eine Menge hart gekochter Eier dabei. Tja, das beschreibt wohl die Familie Bitterlich. 

Auf einem Gruppenbild, das wir alle gemeinsam machen, sollen wir alle springen und meine Beine ächzen nur so unter mir. Verdammt ey. 

1. Wieso habe ich das gemacht??

2. Wie sollen die mich bitte wieder nach unten tragen??

Wir genießen den Moment, so gut es geht, sollten aber nicht zu lange auf dieser Höhe verweilen. Also packen wir all unsere Sachen zusammen und brechen wieder auf. Der Weg nach unten beginnt – auf zum letzten Stopp meiner großen Wanderung. 

Nachdem all die Anstrengung und Aufregung abfällt, wird mal wieder Platz geschaffen für all die traurigen Gefühle, die mich seit gestern auf dieser Wanderung begleiten und die ich mit mir mittrage.

Es kullern auch wieder ein paar Tränen. Die Wanderung ist für mich auch zum Symbol geworden, denn ich weiß, dass auch er eines Tages wieder auf einem Gipfel stehen wird. 

Glücklich und zuversichtlich, traurig und hoffnungslos trete ich den Rückweg nach unten an.

Man könnte meinen, dass man sich nach einem solch anstrengenden Anstieg freut, jetzt mal nach unten zu wandern. Es ist allerdings schon ab dem ersten Schritt eine Qual. Meine Beine sind so so müde. 

Außerdem habe ich mittlerweile 7 Blasen an den Füßen, die mit jedem steilen Schritt nach unten vorne gegen die Schuhkapseln gedrückt werden. 

Aber – Zähne zusammenbeißen und durchziehen. 

Jeder geht in seinem eigenen Tempo und wir warten immer mal wieder gegenseitig aufeinander – die meiste Zeit sind Bisman, Bibek und ich weit vorne. 

Die Pausen sind jedes Mal ein Geschenk, in dem ein kleiner Albtraum verpackt ist. 

Das Geschenk: Der wunderschöne Moment, den Rucksack abzusetzen. Die Erleichterung, mal die Beine auszuschütteln. 

Nur, um dann erneut durch die Qual zu gehen, sich aufzuraffen, den Rucksack wieder zu schultern und zu warten, bis dieser mich wieder in den Boden stampft. 

So geht das den gesamten Weg nach unten weiter.  

Wir warten auf die anderen und ich kippe eine Elektrolytmischung in mein restliches Wasser. Vielleicht verleiht diese mir ja eine neue Superkraft. Hoffen kann ich ja auf jeden Fall. :‘) 

Man kann immer mal wieder zwischen einem steilen, kurzen und einem flacheren, langen Weg wählen. Ich wechsele immer mal wieder durch. 

Normalerweise bin ich ja der Typ lieber kurz und knackig. Meine Beine sind mittlerweile aber so kaputt, dass der längere Weg meist doch die bessere Alternative ist. 

Der Weg will einfach nicht enden und irgendwann ist es wirklich nur noch mentale Stärke. 

Wir machen eine etwas größere Rast an einer Hütte.

Ich ziehe meine Schuhe aus, was wirklich ein Geschenk des Himmels und eine immense Erleichterung ist. 

Dann lege ich mich in die Sonne auf eine Steinmauer und schließe die Augen. 

Fehler! Ich nicke ein und als ich geweckt werde, weil wir weiterwandern müssen, hasse ich mich dafür. 

Zusammenreißen und wupiduu. 

Es sollen wohl noch ca. 1,5h sein. 

Es geht eine Weile zäh weiter, bis sich etwas verändert.

Ich weiß nicht, ob es der starke Wille ist, anzukommen, aber mein Körper schaltet mir plötzlich ein neues Energiereservat frei. Keine Ahnung, wo das auf einmal herkommt oder womit es angetrieben wird. Aber meine Beine fühlen sich leichter an und ich schieße den Berg hinunter. Die anderen lasse ich weit hinter mir.

Irgendwann sehe ich endlich das Ortsschild von Muktinath und das ist wirklich ein fantastischer Moment. 

Die Stadt ist auch schon sichtbar. 

Das Gefühl, das ich beim Betrachten dieser bekomme, ist erneut einzigartig und besonders. Die Stadt ist saftig grün, auf eine Weise, wie ich sie nicht mehr gesehen habe, seit ich in Nepal angekommen bin.

In der Mitte liegt ein kleiner angelegter See. Alles ist von unglaublichen Bergen eingekesselt. Aber nicht so, dass man sich eingeengt fühlen würde, sondern einfach wunderschön, geborgen, endlos und weit. 

Ich bin fast sprachlos. Was ich hier sehe erinnert mich an einen Hollywood-Film, in dem die Menschen einen neuen Planeten entdecken und zum ersten Mal dessen Schönheit erkunden. Es fühlt sich so fremdartig und neu an. Total überwältigend. 

Alles sieht irgendwie futuristisch und gewollt aus, obwohl hier links neben mir ein Jahre alter Tempel steht. 

Beim Benutzen meines Energie-Reservats habe ich eine Sache nicht bedacht: Ich habe nicht die geringste Idee, in welchem Hostel wir heute Nacht bleiben und diese Stadt ist riesig. Das unterscheidet sie auch von den Orten der letzten 8 Tage. Wir sind hier nicht mehr in einem kleinen Dörfchen am Berg. Wir sind hier in einer vernetzten großen Stadt, die auch von Leuten besucht wird, die nicht trekken gehen. 

Ein verrücktes Gefühl.
Naja, jedenfalls setze ich mich auf einen kleinen Felsen und muss auf die anderen warten. Das sind locker 10 Minuten und während dieser Wartezeit überraschen mich wundervolle Bauchkrämpfe. Och manno, das auch noch. Ich glaube, mein Körper zeigt mir wirklich einfach nur, dass er nicht mehr kann. 

Bis die anderen kommen, ist dann wirklich auch die letzte Luft raus, und ich schleppe mich mit ihnen die letzten Meter weiter. 

Unser Wanderweg kreuzt jetzt die Treppen des großen Tempels hier in Muktinath. 

Ich fühle mich, als würden wir in ein anderes Universum eintreten. 

Ich. 

In meiner stinkenden, tagelang getragenen Trekkinghose. 

In meinem stinkenden, tagelang getragenen T-Shirt. 

In meinem stinkenden, tagelang getragenen Bandana. 

Und einem riesigen, stinkenden, tagelang getragenen Wanderrucksack. 

Neben Menschen, die schön gekleidet die Tempeltreppen hinaufsteigen, um zu beten oder diesen zu besichtigen. 

Es kollidieren zwei Welten. In meinem Zustand ist mir das allerdings sehr egal und ich steige einfach nur so schnell wie möglich diese Treppen hinab. 

Mein Herz macht einen riesigen Hüpfer, als Soubas, der vorneweg ist, mir den Eingang zum Hotel zeigt. 

GESCHAFFFFTTTTTT!!!! 

Wow; was für ein Tag. Ich bin durch so viele Emotionen gegangen, habe so viel geleistet, so viel erreicht und Erinnerungen fürs Leben geschaffen. 

Um 4 Uhr ging es los – jetzt ist es 14 Uhr. 

In 10 Stunden habe ich etwas geschafft, was ich mir vorher nicht hätte ausmalen können. Ich setze mich auf den Steinboden vorm Hotel und koste – fix und fertig wie ich bin – den Moment aus. 

Die anderen trudeln auch ein und ich begrüße sie mit einem High-Five. Mal wieder ein kleiner, geteilter Moment, der mir viel bedeutet. Gemeinsam haben wir das geschafft!

Ein Video, das alle Emotionen und Bilder zusammenfasst: https://photos.app.goo.gl/K7AB98CFTVNtCoaG8

Schnell möchte ich dann auf mein Zimmer. 

Dort angekommen, lege ich mich auf den Boden und schaffe es erstmal nicht, wieder aufzustehen. Das Zimmer hat einen Teppichboden und riecht so, wie ein typisches, sauberes Hotelzimmer eben riecht.  

Das ist ein riesiger Kontrast zu den Holzhütten der letzten Tage und ich fühle mich etwas, als wäre ich in einer Parallelwelt gelandet. 

Meine Bauchkrämpfe sind immer noch da und ich bleibe erstmal eine Weile tot hier auf dem Boden liegen. 

Ich stehe zwangsläufig auf, weil ich mir fast in die Hose pinkle. An meiner Badezimmertür hängt ein Zettel: Saisonbedingt können wir kein Wasser bereitstellen. Also stolpere ich auf den Flur, um eine Toilette zu suchen. Die erste Angestellte kann überhaupt gar kein Englisch und antwortet immer nur mit YES, wenn ich frage „Bathroom?“ 

Innerlich reißt bei mir der Geduldsfaden, weil ich es nicht mehr lange aushalte. Sie kann am allerwenigsten etwas dafür, also lasse ich sie ihre Arbeit weitermachen. 

Dann treffe ich die Spanier, die mir die Erleuchtung bringen, dass der Zettel aus einer anderen Zeit stammt. Also zurück zu meinem Zimmer gehastet und alles ist wieder gut haha. 

Dann geht es unter die Dusche. Die zweite Dusche in den letzten 9 Tagen. Eine WARME Dusche, kann man das glauben?

Ich drehe den Hahn auf. KALT! EISEKALT! Das kann doch nicht seeiiiiinnnnnnnnn. Bitte nicht.  Aus der erhofften, revitalisierenden Dusche wird eine kurze Katzenwäsche, bei der ich mal wieder halbe erfriere. 

Dann geht es in die stinkenden, tagelang getragenen Schlabberklamotten und hinunter in die Lobby. Ich bin fertig mit der Welt. Komplett kaputt. Etwas Richtiges gegessen habe ich ja auch noch nicht heute. 

WLAN habe ich Gott sei Dank aber wieder und ich kann etwas mit Zuhause kommunizieren. Das tut mir in meinem erledigten Zustand mal wieder sehr gut. Währenddessen halte ich die ganze Zeit die Speisekarte alibimäßig in der Hand. 

Soubas meint freundlich, dass ich doch erstmal mein Essen bestellen sollte, weil das ja dauert, bis es fertig ist. 

Also wird ein Veg-Burger mit Pommes bestellt. 

Die Spanier:innen kommen nach unten und setzen sich zu mir an den Tisch. Carla hatte eine warme Dusche – es gibt wohl nur eine einzige Dusche im Erdgeschoss, die warmes Wasser hat. Tjaa hätte ich das mal früher gewusst. Man sieht auch ihnen an, wie kaputt sie sind. Wir hängen alle in den Seilen, unterhalten uns ein wenig und warten auf das Essen. 

Beim Blick aus den zahlreichen Fensterfronten dieses Hotels sieht man die grüne, futuristische Stadt, die mich immer noch verblüfft. 

Im Kontrast zu diesem Ausblick laufen direkt unter dem Fenster ein paar Esel entlang, die hier tatsächlich als Taxi-Service benutzt werden. Wie außergewöhnlich. Vier Männer tragen über ihren Köpfen eine gesundheitlich schlecht aussehende Frau auf einer Holz-Bahre vorbei. Ist das vielleicht der Rettungsdienst? Verrückt wäre es. 

Genug aus dem Fenster gestarrt – unser Essen kommt an und ich freue mich sehr. 

Drei Veg-Burger und eine Pizza. Die anderen haben noch frittierstes Gemüse bestellt, von dem sie mir zwei Stücke abgeben. Ach – die sind so ein kleines Stückchen Familie hier für mich geworden. 

Das Essen schenkt mir ein klein wenig Energie zurück, da mein Level sich aber bereits deutlich im Minusbereich befand, ist das nur eine minimale Besserung haha. 

Ich habe wirklich das gammeligste Outfit an, aber wir wollen alle gemeinsam noch etwas durch die Stadt bummeln. Statt der Schlafanzughose ziehe ich mir noch schnell eine Leggings an, was nur eine minimale Verbesserung ist. 

Die Adiletten in Kombi mit den bunten Wollsocken bleiben natürlich 😉

Wir schlendern so durch die Straßen und ich fühle mich, als wäre ich mit guten Freunden im Urlaub. 

Ich habe unfassbar gute Laune und bin innerlich total überdreht. Langsam meldet sich also wohl die Übermüdung. 

Wir wimmeln ein paar Händler ab, schauen ein paar Stände an und landen irgendwann in einem Café. 

Ich werde auf einen Cappuccino eingeladen – mega lieb. 

Dann gehen wir noch gemeinsam mit Soubas und Bisman zum Tempel. Ich möchte eine Kerze anzünden… Die Treppen, die wir vorher herabgestiegen sind, geht es jetzt also wieder nach oben. Sie sind recht kurz und trotzdem eine Qual. 

FRAGT MICH NICHT, was ich mir hierbei jetzt denke: Aber Soubas schlägt ein Wettrennen vor und ich sprinte mit ihm die Treppen nach oben.  

Die folgenden Zeilen sind ein wörtliches Zitat meines Körpers: 

„SAMMMA BIST DU EIGENTLICH BESCHEUERT?! Du undankbares Stück, ich trage dich auf 5416 Meter hoch und wieder bis 3800 Meter herunter. Ich habe ein geringes Sauerstofflevel toleriert. Ich habe deinen fetten Rucksack getragen, den du mir zu Liebe auch echt leichter hättest machen können, wenn du vor der Wanderung mal dein Hirn benutzt hättest. Ich habe mich nicht beschwert über die zahlreichen Blasen, die meine Füße zerreißen. Ich habe die knallende Sonne und den peitschenden Wind geduldet, denen ich dauerhaft ausgesetzt war. Ich habe Schritt für Schritt diese Wanderung gemeistert, dich heile wieder nach unten gebracht und dir ein Erlebnis fürs Leben geschenkt.

Und dein Dank: Du jagst mich nach einer 10 Stunden Wanderung noch im Vollsprint die Treppen hoch?! GEHT’S EIGENTLICH NOCH?!?! 

Hey ihr Körper da draußen: Will jemand mit mir Gehirn tauschen?“ 

Naja gut – die Nachricht meines Körpers kommt ziemlich schnell dann doch bei mir hier oben an und nach etwa 20 Stufen ist absolut Schluss. Ich hechele wie verrückt und frage mich, was bei mir nicht stimmt. Das hätte echt nicht sein müssen.

Wir gelangen beim Tempel an und er ist echt sehr sehr schön. Bisher ist das hier in Nepal für mich der Magischste, weil ich nicht von tausend Händler:innen belästigt werde. 

Wir klingeln ein paar Glocken, schauen uns den Tempel an und laufen durch die Anlage. 

Bisman fragt für mich nach, ob es möglich ist, dass ich eine Kerze anzünde. Allein dabei habe ich schon fast Tränen in den Augen. Er kommt wieder heraus und meint, dass es heute leider nicht geht. Na gut schade… 

Ein kleiner Teil von mir ist auch erleichtert, weil ich weiß, dass ich mich nicht mehr zurückhalten könnte, wenn ich jetzt diese Kerze anzünde. 

Irgendwie klappt es dann wohl doch mit der Kerze und schon auf dem Weg dorthin kullern die ersten Tränen. 

Ich bekomme ein paar Brennstäbe und eine kleine Kerzenfeuerschale. Zu meiner Traurigkeit kommen nun diese Kerzen erleuchtete Umgebung, die Erschöpfung des gesamten Tages und das Heimweh dazu und jetzt platzt wirklich alles heraus. 

Bibek und Bisman stehen neben mir um die Feuerschale herum und beten – ich stehe nur da mit meinen Stäbchen in der Hand und schluchze so laut, wie ich es seit Langem nicht mehr getan habe. Ich bin nicht wirklich gläubig, deswegen bete ich nicht wirklich, aber ich denke einfach ganz feste an alle Menschen, die es gerade gebrauchen können. Schicke ihnen alle Kraft, alle Gedanken, die ich nur aufbringen kann und wünsche mir so so sehr, dass alles gut werden wird. Es tut so unglaublich weh, daran zu denken und gleichzeitig hier am anderen Ende der Welt zu sein. Es fühlt sich so unfair an, dass für mich das Leben hier einfach ganz fröhlich und normal weitergeht und für Freunde gerade das Leben komplett auf den Kopf gestellt ist. Ich fühle mich, als stecke ich in einer Simulation. Hier auf dieser Seite der Welt ist eigentlich noch alles so wie vorher. Je länger ich hier stehe und an alle meine lieben Menschen denke, desto mehr und desto tiefer weine ich. Es ist einfach unglaublich schwer für mich, gerade allein hier zu sein. 

Die Feuerstäbchen sind fast abgebrannt, ich denke ein letztes Mal ganz feste an alle, äußere den Wunsch, dass alles gut werden wird, und werfe die Stäbchen in die Feuerschale. Bisman und Bibek zeigen mir, welches Ritual man noch zum Abschluss macht. Ich mache es aus Respekt mit – fühle mich aber eher etwas komisch dabei. Mir ging es nur um die Kerze. Als wir aus dem Tempel heraustreten, fange ich mich wieder etwas. Die Spanier:innen warten draußen. 

Wir laufen noch weiter durch die Anlage und gelangen an eine rieisge Buddha-Statue, die die gesamten Berge überblickt. Es ist ein unglaublich beeindruckender Anblick. Und die untergehende Sonne über den Berggipfeln sieht so wunderschön aus. Das gibt mir wieder etwas Hoffnung. 

David fragt mich vorsichtig und empathisch, ob alles in Ordnung ist. Ich erzähle ihm mit ein paar tiefen Durchatmern und ein paar weiteren Tränen von dem Unfall und er hört mega aufmerksam zu. Wir unterhalten uns eine Weile und ich fühle mich direkt schon viel besser. Er ist echt ein Goldstück.  

Nachdem die Sonne untergegangen ist, gehen wir zurück zum Hostel. Ich sitze noch eine ganze Weile im Essenssaal, weil es hier Internet gibt. Eigentlich sollte ich ins Bett gehen, aber irgendwie kann ich das gerade nicht. 

Ein wahnsinnig verrückter und ereignisreicher Tag neigt sich dem Ende zu. Ich kann es schon jetzt kaum mehr greifen, dass ich vor einigen Stunden den Pass überquert habe. Es scheint so weit entfernt. Allgemein hat während der letzten beiden Tage Zeit nicht so wirklich existiert. Alles geschieht in doppelter Lichtgeschwindgkeit und gleichzeitig in der langsamsten Zeitlupe. 

Bald verabschiede ich mich ins Zimmer. 

Zum Ende meines Treks wird mir noch eine wunderschöne Überraschung beschert: 

Ein Riesentausendfüßler sitzt an meiner Wand. ALTAAA, wozu habe ich denn ein Zimmer mit Teppichboden und Hotelgeruch?

Für heute ist mir das zu viel und ich hole Bisman, ob er ihn wegmachen kann. Das macht er total lieb und dann verabschiede ich mich ins Bett. 

Noch schnell Zähne geputzt und dann falle ich auch schon in die Kissen. 

Heute ist einer der Tage, an dem ich nicht alleine einschlafen kann und möchte. Meine Gedanken wirbeln einfach so durch meinen Kopf hindurch, dass ich nicht meine Augen schließen will. Dieses Problem behebe ich, indem ich mit der Stimme der drei ??? in den Schlaf geschaukelt werde. Ein wohlverdienter Schlaf beginnt – nach einer UNFASSBAREN Reise heute. 

Ich träume von Spinnnen, die knapp über meinem Kopf im Zimmer herumkrabbeln. 

Bussi Bussis,

~Maite

2 Kommentare bei „APC – DAY 9“

  1. Liebe Maite, großartig beschrieben, dein Papa fühlt sich sehr sentimental zurückversetzt an seine Hochgebirgs-Skitour am Monte Rosa Massiv rund ums Matterhorn. Du hast die Gefühle so krass treffsicher beschrieben: Danke schön und High Fives vom Papa

  2. ❤️Maitemausi ❤️
    Ich hab dich sooooooooo lieb ❤️
    … Auch wenn du jetzt dein ganzes Leben lang nur hartgekochte Eier zum Frühstück isst
    Kuss und big hug from Mama

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