Busfahrt und Buzzcut

Sonntag. Ich stelle meinen Wecker etwas früher, um alles fertig zu packen und noch etwas Reiseblog zu schreiben.
Als ich meinen Rucksack auf den Balkon trage, begrüßen mich gegenüber auf dem anderen Balkon schon die Kinder. Man werde ich das vermissen…
Als das alles erledigt ist, werden alle Sachen zum Auto runtergetragen. Man ist das traurig, dieses leere Zimmer zu sehen.
Hier hab ich echt wenig Zeit verbracht, aber es war Teil dieses tollen Ortes.
Ich trage meine Sachen zum Van und verabschiede mich nochmal von den Kindern, die gerade da sind. Ayayay. Es ist aber nicht so schlimm wie der Abschied gestern…
Der kleinste süße Junge des Waisenhaus winkt mir mehrmals und rennt, als ich aus dem Tor hinausfahre, noch einmal zur Mauer, kletter hoch, schaut einmal drüber, winkt und verschwindet dann.
Was eine tolle Seele – das werde ich so so vermissen.
Auf zum letzten gemeinsamen Frühstück. Ich liebe es, ins Haus von den anderen zu laufen und herzlich begrüßt zu werden und guten Morgen zu sagen.
Komisch, zu wissen, dass das das letzte Mal sein wird.
Ich bin mega mega müde und als das Frühstück fertig ist, hoffe ich einfach nur, dass wir bald in den Van einsteigen.
Das dauert noch eine Weile – bis endlich alles fertig ist; und noch Abschiedsbilder gemacht werden und und und.
Ich bin total happy, als wir endlich drin sitzen – ich bin mit allen Jungs in einem Van vereint. Dann geht es auch erstmal fleißig ans Reiseblog schreiben.
Bald halten wir an einem Supermarkt an, um Snacks zu kaufen. Eyyyy mein erster nepalesischer Supermarkt. Alle werden verrückt und kaufen ganz viele Sachen für Fahrt und Flug. Bei mir gibt’s eine Mischung aus nepalesisch und alten Bekannten. Nepalesische Kekse, Chips, Kaugummis und Gummibärchen. Und altbekannte Oreos.
Weiter geht die Fahrt.
Nach einigen Minuten bemerke ich, wie SCHLECHT diese Straße ist – oh Gott oh Gott.
Da wird mir ganz schnell übel und ich mache mir bisl Sorgen um meine Reiseblog- Produktivität…
Ich hab’s übertrieben, packe das Tablet erstmal wieder weg und versuche etwas zu schlafen. Das funktioniert mehr schlecht als recht. Danach fühle ich mich aber wieder etwas besser.
Ich liebe es, mit den Jungs hier im Van zu sitzen. Ich habe die alle so so sehr ins Herz geschlossen und ich will gar nicht daran denken, dass die Zeit hier bald vorbei ist.
Irgendwann mache ich Musik an; bzw ich gebe mein Handy zu Drew nach vorne, weil man es mit dem Aux-Kabel verbinden muss.
Er macht sich teilweise über meine Musik lustig, feiert aber auch viele Songs und ist n guter DJ.
Irgendwann gibt es eine Pipi-Pause, Plätze werden getauscht und Philipp ist DJ.
Alle singen lautstark mit – es ist eine so tolle Gemeinschaft und mir schießen wirklich die Tränen in die Augen. Diese Energie hier ist einfach so so toll.
Das kann einfach nicht vorbei sein; und es kann nicht sein, dass das nur eine Woche war. Ich will jeden dieser Menschen hier in meinem Leben haben und nie wieder loslassen.
Wenn ich das hier gerade schreiben, fange ich schon wieder fast an, zu weinen.
Jeder versprüht einfach so eine unglaubliche Energie, jeder ist so authentisch und er selbst – ich fühle mich wie der Teil von einer heilen Welt. Kann’s gar nicht beschreiben, diese Woche hat mir so soo viel gegeben, Wahnsinn…
Ich dachte, ich fliege nach Nepal, arbeite im Krankenhaus und mache verrückte Erfahrungen.
Dann habe ich erfahren, dass ich mit einer Schulklasse Amis im Waisenhaus arbeite.
Und aus fremden Amerikaner:innen, die ich vor einer Woche erst getroffen habe, wurden Menschen, die offen, herzig und wundervoll sind und die mich genau so akzeptiert haben, wie ich hin.
Dass ich das erleben durfte macht mich so so glücklich und ich bin unfassbar dankbar dafür!
Irgendwann halten wir zum Mittagessen und das Restaurant ist echt schön!
Bis das Essen fertig ist, vertreiben wir uns die Zeit mit Rätseln. Wenn man kein Handy hat, findet man immer Kleinigkeiten, um sich zu beschäftigen 😉
Es gibt wieder Dal Bhat und das kann ich wirklich jetzt schon nicht mehr sehen und HILFE das waren jetzt erst 10 Tage…
Aber das gibt es wirklich jeden Tag mind. 2 oder 3 Mal und ich kann nicht mehr.
Ich hab ja sonst immer Hunger, aber ich hab wirklich einfach keinen Appetit mehr – das ist ganz verrückt.
Naja das Essen landet irgendwie doch in meinem Magen und die Fahrt geht weiter.
Ich genieße sie total, auch wenn es echt anstrengend ist. Aber ich genieße einfach die Gesellschaft, die Gemeinschaft und die Gespräche.
Jeder teilt auch seine Snacks, es ist einfach toll und gemeinsam.
Die Autofahrt war natürlich trotzdem anstrengend, je näher wir aber dem Hotel kommen, je weniger möchte ich das wir ankommen.
Ich möchte nicht tschüss sagen. Jedes Mal, wenn ich daran denke, schießen mir direkt die Tränen in die Augen.
Angekommen…
Ich hab ein ganz mulmiges Gefühl im Magen, weil ich denke, dass ich jetzt tschüss sagen muss.
Ich sitze auf dem Beton am Hotel und meine Augen sind wässrig.
Dann erzählt mir Bhagawan, dass ich noch zum Abendessen bleiben kann und ich freue mich sehr.
Anschließend sagt er mir auch noch, dass ich den Tag morgen – den Montag noch mit den anderen verbringe. Also ist die Trauer wie weggeblasen und ich freue mich aufs Abendessen.
Was ein Wechselbad der Gefühle.
Vor dem Abendessen gibt es noch etwas Zeit für Bummeln und Shoppen. Einige kaufen Schmuck, andere Snacks, Jack geht zum Friseur: Von langen Haaren zur Kurzhaarfrisur.
10 Minuten später kommt Jack mit einer Kurzhaarfrisuren an und 3 der Amis mit der Wette, dass sie jetzt nen Buzzcut machen……….
Drew, Tate und Cedric – die haben wohl ne Münze geflippt und meinten, wenn Philipp zahlt, rasieren sie sich die Haare ab.
Jetzt sitzen sie alle nebeneinander beim Friseur und der Rasierer summt friedlich und gleichzeitig zerstörerisch vor sich hin.
Man sieht den Moment des Bereuens in allen 6 Augen, aber jetzt gibt es kein Zurück mehr haha.
Alle drei haben auf einmal einen Buzzcut.
Sobald ich die Wette mit den Buzzcut gehört hab, schoss bei mir der verdrängte Gedanke, dass ich mir nach dem Abi die Haare abrasiere wieder in den Kopf.
Ich wusste von da an, dass ich mich schlecht und feige fühlen werde, wenn ich mit langen Haaren nach Hause gehe.
Der Widerstand ist aber Immernoch viel zu groß und ich habe mich schon dafür entschieden, meine Haare zu behalten und bin auf dem Weg aus dem Friseur raus.
Da unterhalte ich mich nochmal mit Leoni und sie meint WARUM NICHT?! Man lebt ja nur einmal.
Ich weiß gar nicht mehr, was sie genau gesagt hat, aber irgendwie macht es Klick in meinem Kopf und auf meinem kommen aus meinem Mund die Worte „I’ll do it“
Keine Sekunde später jubelt die gesamte Amiklasse im Friseursalon.
Ohoh jetzt gibts kein Zurück mehr. Mir gefällt aber auch die Story dahinter; wir haben so viel gemeinsam erlebt – jetzt rasiere ich mir auch mit den Jungs die Haare ab.
Mit dem ersten Funken Bereuen kommt auch schon der erste Schnitt und eine Strähne Haare ist weg. ACH DU SCHEISSE. Plötzlich sind meine Entschlossenheit und mein Mut AUF NULL und meine Gedanken fliegen zu Mama, Papa und Annick, Edda und Finn. Ich denke mir, OH GOTT OH GOTT, was werden die wohl dazu sagen.
Ich lache die ganze Zeit total unkontrolliert, weil ich nicht begreifen kann, was hier passiert.
Alle sind super supportive und es ist irgendwie schön, welche Energie in diesem Salon existiert.
Diese Leute geben mir so ein Gefühl von Sicherheit und Glücklichsein und ich kenne sie erst seit 1 Woche – das kann doch gar nicht sein.
Naja irgendwann sind die Haare dann ganz ab und ich kann’s gar nicht glauben.
Ich bekomme noch eine kurze Massage und denke – oh der ist aber nett – lasse mich aber natürlich nur abziehen und muss dafür extra zahlen haha. Das kann ich mir in dem Moment aber nicht übel nehmen, da war ich mit so vielen anderen Gedanken beschäftigt.
Ich glaub, er will zu viel von mir verlangen – Bhagawan macht ihm auf jeden Fall ne Ansage und handelt ihn runter. Hahaha mein Schutzengel!
Und dann verlasse ich den Salon ohne meine Haare, die vorne am Spiegel liegen. Holy shitttttt.
Die nächsten Momente fühlen sich rückblickend an wie ein Traum.
Nachdem ich mir die Haare abrasiert habe, meint Caleb, wenn Maite das kann, dann schaff ich das auch – holt sich auch noch nen Buzzcut.
Dann zieht Eoin noch mit und am Ende kommt Cal auch noch mit abrasierten Haare aus dem Salon.
Aus Canyons Buzzcut wird eine Glatze – er meinte, er macht das, wenn ich meine abrasiere.
Es ist irgendwie ein riesiges tolles Gruppenevent und ich glaube es gibt einige, die die Frisur bereuen – niemanden aber, der die Aktion, den Moment und die Geschichte bereut.

16.04.2023 SCHNIPP SCHNAPP
16.04.2023 HAARE AB!
16.04.2023 New Mee hehe 🙂

Wie Nil mir gesagt hat: Die Haare kommen wieder, die Story bleibt für immer!
Damit hat er so unglaublich Recht – die Haare sind irgendwie ein Symbol für die letzte unbeschreibliche Woche, in der ich so glücklich war wie nie zuvor.
Als ich gesagt hab „I’ll do it“ habe ich mir gedacht: HELL YEAH, ich bin glücklich, deswegen brauche ich meine Haare nicht.
Und das ist echt wertvoll.
Wir machen alle ganz viele Gruppenbilder, fassen gegenseitig unsere Haare an, machen ein Voting, wer die weichsten Haare hat, wer die angenehmsten zum Anfassen hat und vieles mehr. Manche haben sich mit der neuen Frisur wirklich gar nicht verändert.
Andere schon, aber bei allen anderen sieht es für mich direkt schon normal aus. AUSSER BEI MIR.
Ich fühl mich wie ne Fremde, ich kann’s gar nicht glauben, dass ich das gemacht hab haha.
Aber dieses Gefühl von Zusammengehörigkeit mit den anderen ist echt toll.
Einer meint WOOOW schüttele mal deinen Kopf. Das mache ich dann auch und es fühlt sich wirklich SO KOMISCH an.
Ich hab mega Angst es Leuten von Zuhause zu zeigen, aber alle sind mega süß, so unterstützen, dass ich fast weinen muss und ich fühl mich direkt schon ein Stückchen wohler.
Trotzdem schaue ich in jedes einzelne Schaufenster hinein HOLY COW – das bin ich?!?!?
Ich will meine Hände auf meinem Kopf abstützen und suche nach dem Dutt, an dem ich mich festhalten kann – OH, nichts da.
Wir gehen zum Essen und ich lache mal wieder sehr sehr viel. Eyyyy diese Menschen. Eoin ist einer der witzigsten Menschen, die ich je getroffen habe und sein Humor ist so aufwandslos.
Er macht einfach nur den Mund auf und ich lache.
Nach dem Essen geht es auf den Weg zur Gastfamilie und das mag wahnsinnig dumm klingen, aber ich bin gar nicht aufgeregt, meine Gastfamilie kennenzulernen.
Ich denke mir auf der Fahrt tatsächlich – HOLY SHIT, ich hab keine Haare mehr; was ist dann schon so ein Treffen mit der neuen Gastfamilie.
Wir kommen an und dann bin ich natürlich doch ein wenig aufgeregt.
Das Paar ist super jung und hat eine 1,5 Jahre alte Tochter, die wirklich total süß ist.
Sie findet aber meine Haare ganz komisch und da denke ich mir, uiuiui – da bist du nicht die einzige. In dem Moment fühle ich mich tatsächlich sehr unwohl mit meinen Haaren und denke mir, uff ich müsste mit meinen alten Haaren jetzt nicht meine Komfortzone verlassen.
Die Tochter wird aber warm mit mir und wir spielen ein bisschen gemeinsam. Ich trinke einen nepalesischen Milchtee, der echt super gut schmeckt.
Beide Elternteile sind super herzig und lieb mit der Tochter – ich glaube, ich bin hier gut aufgehoben. Es gibt eine westliche Toilette mit Klopapier und eine Dusche mit kaltem Wasser. Das passt alles 🙂
Mein Zimmer ist auch total schön, aber das Bett ist wirklich hart wie Stein. Das ist keine Metapher, sondern ich hab wirklich noch nie so ein hartes Bett erlebt. Es ist ein Holzgestell und darauf in eine Matratze, die in etwa so dick ist, wie die Kissen auf Gartenstühlen. Huiuiui da hab ich schon bequemeres erlebt. Aber naja – ich hab mir mal sagen lassen, dass das gut für den Rücken ist.
Ich kann irgendwie noch nicht schlafen, also schreibe ich etwas an meinem Reiseblog, rede mit Leuten über meine Haare und fühle mich Immernoch total komisch. WARUM HAST DU DAS GEMACHT – schreit ein Teil von mir ununterbrochen.
Es fühlt sich ganz verrückt an, sich mit dem Kopf aufs Kissen zu legen, aber nach einem UNGLAUBLICH verrückten Tag geht es für mich ans Schlummern.
Bussi Bussis,
~Maite

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