Samstag.
Ich schlafe in etwa bis 9 und bewege mich dann erstmal wie ein Wal vom Hochbett runter. Die Leiter ist echt so ungünstig und es ist wirklich jedes mal eine Herausforderung haha. Um halb zehn habe ich ein Frühstücksdate, bei dem ich mir nicht so sicher bin, ob das eingehalten wird, weil wir das gestern nur einmal so gesagt haben. Aber ich will mich trotzdem dran halten.
Deswegen gehe ich nochmal ins Bett und schreibe 30min an meinem Reiseblog.
Ich bin am Verhungern, um halb zehn geht es zum Frühstück und der andere Mensch ist nicht da.
Macht aber nichtsss – es gibt French Toast.
Ich setze mich hin, frühstücke und esse die Toasts – es schmeckt so so guuuut HILFE!
Als ich fertig bin, mache ich mich im Zimmer ready und habe vor, zu einem See zu fahren, an dem man wohl schwimmen kann.
An der Rezeption frage ich, wo denn ein Bus abfährt, der angeblich da hinfahren soll. Ich bekomme eine Auskunft und mache mich auf den Weg.
So richtig wissen, wo es langgeht, tue ich aber immer noch nicht.
Ich laufe ein Stückchen die Straße entlang und gehe erstmal zum Buchladen. Keins der Bücher im Hostelregal hat mir gefallen leider.. Deswegen kaufe ich mir jetzt eins. Ich verbringe dort eine Ewigkeit und kann mich gar nicht entscheiden – dann wird es ein weiteres Buch von Stephen King, den ich auch gerade noch lese.
Dann geht es zu einem Bus und nachdem zwei mich ablehnen, meint der nächste ich bin richtig.

Ich steige ein und es ist sooo heiß. Ich unterhalte mich ein wenig mit dem Fahrer und als wir schon ewig dastehen frage ich, wann es denn endlich losgeht. Er meint in einer halben Stunde – PAH na toll, was sitze ich dann hier drin. Ich steige aus – er meint ich soll um fünf vor halb nochmal kommen. Ich hasse es, aber dieses Überhitzen macht mich so gereizt und ich kann gar nichts dagegen machen.
Draußen spricht mich eine Nepalesin mal wieder an, ob ich ein Bild machen kann – JA OK – von mir aus.
Dann sind es plötzlich 10 von ihnen, die mich umkreisen und gegen den Bus umringen und bei meiner Überhitzung ist mir das definitiv zu viel. Alle reden durcheinander, wollen Bilder machen und fragen mich wo ich herkomme. ALTER wie können Leute berühmt sein? Nie niemals!!
Ich schaffe es irgendwie, zu flüchten, setze mich an den See und atme erstmal durch.
Buch geschnappt und gleich ist alles schon viel besser. Ich überlege, ob ich überhaupt wieder in diesem Bus steige und zu dem See fahre. Na komm, gib dir nen Ruck. Also wieder hinein in den nepalesischen Ruckelbus.
Die Fahrt kommt mir vor wie eine Ewigkeit, aber dann sind wir endlich da.
Der See ist schööön hihi – und ich glaube, ich kann hier etwas Ruhe finden.

Ich laufe los, an all den belebten Plätzchen vorbei, bis es in eine Art Wald geht.
Ich sehe eine kleine Bucht, die mir gefällt, wo aber noch zwei andere Mädels sind. Ich will ihnen ihren Privatsphäre lassen und suche erstmal noch weiter. Der Weg endet irgendwann mehr oder weniger und ein Nepalese fragt, was ich vorhabe. Ich meine, dass ich einen ruhigen Ort suche, an dem man vielleicht auch baden kann. Er meint, er fragt kurz seine Freunde, aber dass es hier eigentlich nur für die Fischer weitergeht. Also geht es nach kurzen Besprechung und mal wieder ein paar Ländersmalltalks für mich wieder zurück und ich frage die Mädels, ob ich zu ihnen kommen darf. Sie meinen – na klar; sie machen eh nur eine kurze Pause, weil sie in dem dreckigen See doch nicht schwimmen wollen..
Ich setze mich mit meinem Buch hin und tauche in die andere Welt ein. Die beiden Mädels gehen bald und ich setze mich noch weiter in die „Bucht“ hinein.
Als ich dort so sitze, laufen kurz mal wieder ein paar Tränchen. Nicht, weil ich wirklich traurig bin, hier ist es echt sehr sehr schön. Aber ich höre ein paar Sprachnachrichten von Zuhause.
Und verschütte ein paar Heimweh-Tränen. Ich find’s immer noch so verrückt, dass ich dieses Gefühl so intensiv erlebe.
Es ist total friedlich hier, bis eine Gruppe junger Nepalesen kommt und im Wasser tollt, von dem Baumstamm vor mir springt usw. Es ist total schön, dabei zuzuschauen – die strahlen einfach alle so eine Lebensfreude aus.
Plantsch, plantsch, plantsch. Ich bin weiterhin in mein Buch vertieft.
Sie fragen mich, ob ich nicht auch schwimmen möchte und ich meine später hehe.
Kurz nachdem die alle wieder draußen sind, gehe ich dann doch auch rein und fühle mich mal wieder total komisch in meinem Bikini. naja.
Das Wasser ist schon sehr seeehr dreckig, ich genieße aber trotzdem meine kleine Badesession.
Ich frage die Nepalesen neben mir nach den Buszeiten und sie meinen alle 15min.
Es ist mitterweile halb vier und ich mache mich auf den Rückweg, weil ich definitiv etwas zu essen brauche.
Auf dem Weg zum Bus kommt mir ein mitterlalter Junge entgegen, sagt hallo und streicht mir über den Arm. Danach lacht er. Eine typische Interaktion in meinem Leben in Nepal haha, aber dieses Streicheln aus dem Nichts ist schon sehr aufdringlich und ich fühle mich in den ersten Sekunden etwas unwohl.
Weil er sich freut, macht mir das dann wieder weniger aus.
Es wird mir aber glaube ich in meiner gesamten Zeit hier nie leichter fallen, mich wie eine außerirdische Touristenattraktion zu fühlen.
Ich schnappe den Bus und diese Fahrt ist noch schlimmer als die erste und wir fahren so so langsam. Es ist so heiß und irgendwann erfahre ich, dass ich zwar den Bus in die richtige Richtung genommen habe, aber nochmal umsteigen muss und ein Stück zu weit gefahren bin. Bitte nichtttttt.
Insgesamt bin ich dann 2h unterwegs und kurz vor Ende denke ich wirklich, ich müsste schreien. Es fühlt sich an wie Überhitzung und Platzangst.
Das Gefühl, aus diesem Bus auszusteigen, ist wirklich ein einziger Traum.
Freiheit, Platz und Luuuuuft wowiiii.
Ich gehe kurz zum Hostel, schmeiße meine Sachen ins Zimmer und gehe zum nächsten Restaurant.
Zweiter Versuch mit Paneer Butter Masala.
Ich setze mich an den Tisch und lese, bis mein Essen kommt.
Ayyy auch wieder nicht so gut und recht scharf. Ich muss mich wohl noch bis zu meinem Stammrestaurant in Chitwan gedulden 😉
Beim Essen laufen der Schweizer und sein Kumpel an mir vorbei. Ich freue mich total und wir unterhalten uns ganz kurz über unsere jeweiligen Wanderungen, bis die beiden weitermüssen.
Ich esse noch fertig und dann geht es zurück ins Hostel. Heute wird nichts mehr gemacht und ich bin fix und fertig. Ich setze mich in die Gemeinschaftslobby, um an meinem Reiseblog zu schreiben.
Ich muss nochmal nach oben, um eine Powerbank zu holen und komme dann mit einem Franzosen ins Gespräch. Das nimmt zwischen den Betten ziemlich schnell eine interessante Richtung an und da mein Tablet immer noch unten steht, lade ich ihn ein mitzukommen oder dass ich ihn sonst vertrösten muss.
Er nimmt die Einladung an und das Gespräch haut mich wirklich komplett vom Hocker.
Wir reden allgemein ganz viel übers Reisen und auch über Volunteering.
Als ich ihm von meiner Einsamkeit erzähle, meint er, dass er mal 1 Jahr lang im Senegal ziemlich einsam gelebt hat. Und dass das unfassbar hart war, aber er im Nachhinein nur positiv auf diese Zeit zurückblickt. Dass er erwachsen geworden ist und so viel über sich selbst gelernt hat.
Er erzählt eine Geschichte: Ein Mann geht los und trifft 4 Menschen. Er fragt den ersten Mann, was er gerade macht. Die Antwort: Ich zerhaue Steine als Arbeit, sodass ich meine Familie ernähren kann.
Der zweite antwortet auf die gleiche Frage: Ich bin stolz, Teil eines großen Unternehmens zu sein, und für eine gute Firma zu arbeiten.
Auch der dritte Mann wird gefragt und meint: Ich übe den gleichen Beruf aus wie alle vorherigen Generationen meiner Familie – dieses Handwerk hat auch schon mein Vater, mein Großvater usw. gemacht.
Die vierte Person berichtet als Antwort auf die Frage, dass er Teil etwas Großes ist und gerade dabei hilft, eine Kirche zu bauen.
Alle 4 Männer üben den gleichen Beruf aus. Alle 4 Männer üben die gleiche Aufgabe aus: Sie zerhauen Steine.
Jeder einzelne Mann hat eine völlig andere Perspektive auf die Dinge. Der eine zerhaut nur Steine, der andere ist stolzer Teil eines mächtigen Unternehmens, der nächste verfolgt eine Familientradition und der letzte sieht sich als Teil etwas Bedeutsamen.
ALLE machen das gleiche und jeder kann frei wählen, welchen Blickwinkel er einnimmt. Frei wählen, wie und mit welchen Gedanken er durch jeden Tag geht.
Genau so funktioniert auch das Leben: Wir erleben Situationen, werden in Orte und Gegebenheiten hineingeschmissen und haben die freie Wahl, wie wir es betrachten und was wir daraus machen.
Aus der gleichen Situation macht jede einzelne Person ein unterschiedliches Erlebnis. Und wir haben es selbst in der Hand.
Er meint, mit meiner Art, wie ich in Chitwan lebe, im Krankenhaus bereit bin, Leuten zu helfen, Nepalesisch lerne und alleine als junges Mädchen so tief in die Kultur eintauche, bin ich auf einem guten Weg, eine Kirche zu bauen.
Ich sitze einfach nur am Tisch, habe ein Lächeln auf den Lippen und in meinen Augen steht Begeisterung, Ungläubigkeit und Faszination für diesen Menschen und seine Erzählung.
Er zieht mich so in seinen Bann und ich weiß erstmal gar nicht, was ich sagen soll. Ich bedanke mich.
Das ganze Gespräch öffnet mir irgendwie total die Augen und dieser Mensch inspiriert mich wirklich zutiefst.
Wir reden darüber, dass man auch mal traurig sein muss, um nach Höherem streben zu können – und auch, um zu wissen, was und wann man eigentlich glücklich ist.
Außerdem darüber, wie wichtig es ist, die kleinen Dinge zu genießen und dass wirkliches Glück durch kleine Dinge entsteht. Er erzählt mir, dass er jeden Tag – auch wenn er mal die gleiche Routine für eine Zeit lang hat, aufschreibt, was sich zum letzten Tag verändert hat. Hat man mit jemandem ein Lächeln geteilt? Hat man eine tolle Person getroffen? Hat man etwas Neues über sich gelernt?
So realisiert und versteht man, dass jeder Tag – auch wenn die Grundbausteine identisch sind und man vielleicht in einer scheinbar langweiligen Routine versinkt – einzigartig und besonders ist und dass man jeden Tag so viel dazulernt.
Viele Minuten geht es im Gespräch auch über Familie, Untersützung und Liebe von Zuhause. Die Balance zwischen Selbstständigkeit und Zeit mit seinen Liebsten zu verbringen.
Und noch so viele andere tolle Themen, die ich hier gar nicht alle auflisten kann – zwischendurch gibt es auch immer mal weniger philosophische Themen wie z.B. das unterschiedliche Niveau des Sprachunterrichts in Deutschland und Frankreich.
Ich genieße jede Minute dieses Gesprächs.
Er lädt mich währenddessen noch auf einen Eiskaffee ein. :‘)
Ich bin erstmal baff und versuche, alles aufzusaugen und aufzunehmen, was er mir erzählt hat.
Ein so so inspirierender Mensch – und ja, was soll ich sagen… Vor diesem Gespräch war ich mir sicher, dass ich das Projekt wechseln will.
Jetzt bin ich erstmal motiviert, zu sehen, wie es mir weiterhin in Chitwan gehen wird.
Danke an den ‚fremden‘ – oder auch überhaupt nicht fremden – Walid!
Er verabschiedet sich irgendwann und ich sitze noch eine Weile da und lasse alles sacken.
Ich treffe noch ein paar Leute von gestern Abend und unterhalte mich mit denen noch ein Weilchen.
Dann geht es für mich ins Zimmer und ich schreibe meinen Reiseblog. Ich überspringe erstmal die letzten Tage und schreibe über das Gespräch, sodass ich auch alles davon einfangen kann.
Als das erledigt ist, bin ich total im Schreibflow und schreibe bis in die Nacht hinein, obwohl ich um 6 aufstehen muss.
Es lohnt sich – irgendwann macht nur mein Nacken nicht mehr mit und ich verabschiede mich inspiriert und erlebnislustig in meine Träume.
Bussi Bussis,
~Maite
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