Ausgenutzt fühlen.

Mittwoch.
Ich beschließe, heute den Bus zu nehmen. Es ist einfach zu heiß zum Fahrrad fahren.
Und ich mag die Busse hier auch gerne, also ist eine Mischung immer ganz schön.
Ich habe ja nur noch drei Tage, also will ich auch jede Erfahrung einmmla noch ausnutzen. Der Scooter ist leider kaputt, deswegen muss ich das von meiner Liste streichen. Das hat auch immer so viel Spaß gemacht ayyyyy.
Beim Busfahren habe ich auch immer etwas mehr Zeit für meinen Reiseblog, weil ich mich nicht darauf konzentrieren muss, nicht überfahren zu werden haha.
Im Krankenhaus wird mir immer bewusster, wie sich meine Zeit dem Ende zuneigt.
Ich esse heute noch ein letzte Mal im Krankenhaus Reis zum Frühstück. Heute haben wir mal wieder einen verrückten Fall.
Einen nahezu bewusstlosen Mann, der eine Hirnblutung hat. Auf dem CT leuchtet schon ein großer, weißer Fleck. Au weia.

31.05.2023 Der weiße Fleck ist die Blutung

Und sein Bewusstsein und andere Dinge sind ja offensichtlich auch schon beeinträchtigt.
Ich frage also, ob er direkt in den OP kommt. Der Arzt meint, er schreibt jetzt erstmal dem Neurochirurgen. Er schickt eine WhatsApp mit dem CT; die Nachricht stellt nicht zu.
Also meint er, ja er muss jetzt einfach warten.
WAS ZUR HÖLLE? Den ersten Satz, den man in meiner Ausbildung bei Schlaganfällen, Hirnblutung etc. lernt ist – TIME IS BRAIN.
Je länger man wartet, desto größer wird die Einblutung und desto mehr Gehirngewebe stirbt potentiell ab.
Ich meine zum Arzt, ob er mich bitte auf dem Laufenden halten kann, weil es mich interessiert.
Ich schätze nach einer halben Stunder erzählt er mir, dass der Neurochirurg meint, dass wir erstmal noch abwarten.
WAS?!?!?!?!?!?! TIME IS BRAIN??? Wir haben hier einen bewusstlosen Patienten mit ner dicken Hirnblutung, warum wird der nicht in den OP gebeamt?? Ich verstehe es wirklich gar nicht.
Auf meine Nachfrage antwortet der Arzt nicht so richtig. Naja – keine Ahnung. Vielleicht habe ich irgendwo etwas verpasst.

Ich komme aus dem Krankenhaus raus und – ich hätts nicht für möglich gehalten, aber es ist noch wärmer als gestern.
ACH DU SCHEISSE. Heute fällt mir ein, wie man das Gefühl vielleicht noch beschreiben könnte. Kennt ihr das, wenn ihr an einem Lagerfeuer sitzt und mit eurem Gesicht wegen eines Marshmallows zu nahe ans Feuer rangeht. Das geht für eine Weile gut, dann muss man sich wieder entfernen.
In etwa so fühlt sich das hier an. Die Haut wird sofort so heiß und fängt gefühlt von innen an zu glühen.
Nur dass ich hier leider nicht einfach einen Schritt zurückgehen und der Hitze entfliehen kann.
Aber ich flüchte ins Restaurant, wo der Ventilator wieder schwach seine Arbeit tut.
Ich probiere nochmal ein anderes Paneer-Gericht, was ich noch weniger mag. Es schmeckt nach Ketchup.
MISSTTT. Die nächsten beiden Tage muss ich noch zum letzten Mal das Paneer Butter Masala ausnutzen!!!
Essen beendet und auf geht’s zum Bus.
Die Hitze ist unerträglich, aber am Straßenrand singt ein Nepalese, was mich wirklich sehr happy macht und ein Nepalese kommt mit einem dicken Lächeln entgegen und macht mit seinen Händen zwei Ok-Zeichen.
Kleinigkeiten, die einen Tag hier ausmachen.
Lieben tu ich auch die traumhaften, bunten Obststände, an denen ich vorbeilaufe.
Ich quäle mich also mit den zwei Bussen nach Hause und bin wieder total ko, als ich ankomme.
Das Mädchen, das bei uns immer zu Besuch ist, hat mich ständig angefleht, mit ihr zum Markt zu gehen, aber mir war es wirklich immer viel zu heiß. Heute sage ich ja, bereue es aber direkt. Ich bin so müde und hab totale Kopfschmerzen.
Auf dem Weg erzählt sie mir, dass ihr Schulrucksack heute gerissen ist, und ihre Mama sie dafür geschlagen hat.
WIE BITTE?! Ich werde mega sauer, überraschen tut es mich aber nicht. Hier ist es noch viel üblicher, seine Kinder zu schlagen. Mein Hass darüber ist nicht in Worte zu fassen.
Wir laufen weiter, irgendwann erzählt sie mir, dass es heute ihr Geburtstag ist. Ich beschließe schon, ihr ein kleines Geschenk zu machen. Eine Minute später fragt sie mich, ob ich ihr ein Geschenk machen kann, und einen neuen Rucksack kaufen kann.
Ich hab direkt gar keinen Bock mehr und bin mega genervt.
Deswegen wollte sie also unbedingt mit mir zum Markt, damit ich ihr etwas kaufe.
Ich erkläre ihr, dass ich ihr ein Geschenk machen wollte, aber es keinen Spaß macht, zu schenken, wenn es von einem erwartet wird.
Wir haben beide Durst, also kaufe ich uns zwei kleine Eisgetränke. Das ist wie Calippo, nur in einem Plastikpäckchen und es schmilzt so schnell, dass es zum Saft wird. Außerdem kaufe ich uns noch ein kleines Schokoladenstängchen. Es macht mir total Spaß, weil sie meint, dass es ihr zu teuer ist, und ich es gerne kaufen kann. Das sind diese Aktionen, die Spaß machen.
Irgendwann stößt ihre Freundin dazu und ich kaufe noch eine kleine Schoki.
Bald fragt ihre Freundin, ob sie auch eine Schultasche haben kann.
Ich platze schon innerlich, sage aber, dass wir ja mal schauen können.
In dem Laden suchen sich beide total glücklich einen Partnerlook-Rucksack aus und sehen so glücklich aus. Ich überlege noch, als mir eine schon um den Arm fällt und ich denke mir, scheiß drauf.
Es kostet insgesamt 20€, das bringt mich ja nicht um, aber ich habe gar keinen Spaß an der Sache.
Es fühlt sich nicht an wie ein tolles Geschenk, sondern einfach, als würde ich krass ausgenutzt werden. Als mich beide umarmen, bin ich für einen Moment glücklich und denke mir – ach ist doch schön, dass sie sich freuen.
Diese Freude verwandelt sich in Wut, als sie danach meint: Let’s eat Chatpat. Als ich – nein danke – meine, weil ich davon letztes Mal Durchfall hatte, meint sie ganz selbstverständlich, dass sie aber ja Chatpat essen will. Geld hat sie keines dabei, also müsste ich natürlich zahlen. Mir reichts und ich sage Nein.
Wir kommen an Bubble Tea vorbei und sie fragt mich, ob ich Bubble Tea mag. Ich sage Ja, sie mein Let’s Drink Bubble Tea. Man kann es so stark spüren, wie sie einfach gierig alles bekommen will, was sie nur kriegen kann.
Wirkliche Dankbarkeit spüre ich nicht.
Kein Bubble Tea. Irgendwann meint sie, sie ist durstig und dass wir was zu trinken kaufen sollen.
Gut – noch einmal Calippo für alle. Sie will das eigentlich nicht, weil es hier nur die Geschmacksrichtung Mango gibt, und sie die nicht so gerne mag und ich platze innerlich.
Meine Wut wächst bis kurz vor Explosion und ich bin so sauer, dass ich diese Emotionen gerade empfinden muss.
Ich hätte ihr doch auch einfach glücklich ein schönes Geschenk machen können.
So fühle ich mich ausgenutzt und regelrecht beschissen.
Ich fühle mich schlecht, wenn ich Nein sage, als Deutsche, die sich das leicht leisten könnte.
Ich fühle mich schlecht, wenn ich Ja sage, weil ich es nicht kaufen will und mich ausgenutzt fühle.
Ich fühle mich schlecht, weil ich es nicht schaffe, mich für die beiden Mädels zu freuen, die sich das sonst wohl nicht leisten könnten.
Ihre Freude und Dankbarkeit sehe ich aber halt auch einfach nicht wirklich.
Wir kommen irgendwann noch kurz an ihren Müttern vorbei und die Mädels meinen, dass ihre Mütter sich sehr über die Taschen freuen. Na immerhin.
Ich hasse alles an diesem Nachmittag und bin so froh, als ich endlich alleine Zuhause bin.
Das sind so Charaktereigenschaften, die ich einfach gar nicht abhaben kann. Null Prozent und ich brauche noch eine Weile, bis ich mich wieder fange.

Und fühle mich selber elend für die Wut, die ich spüre. Mir fällt aber leider auch immer noch keine Lösung ein, wie ich die Situation am Elegantesten hätte lösen können…
Es fällt mir wahnsinnig schwer – und ich hab’s mega lange herausgezögert – diesen Blogeintrag zu schreiben, weil ich mich überhaupt nicht wieder dort hineinversetzen will.
Es fühlt sich einfach eklig und leer an, anders kann ich’s nicht beschreiben.
Ich bin froh, dass ich gerade am Ende dieser Zeilen angelangt bin und dieses Kapitel schließen kann.
Ich hoffe trotzdem, dass sie einfach lange und glücklich ihre Schultaschen tragen können.
Für mich geht es nach einem auslaugenden Tag ins Bett.
Bussi Bussis,
~Maite

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