Nadelstich und Abschiedspartyyy

Montag. Das Aufstehen fällt mir wirklich wahnsinnig schwer, als um 6:30 Uhr der Wecker klingelt. Nach der Garden Route wieder in den Alltag einzusteigen, ist irgendwie schwerer als gedacht. 

Meine beiden Roomies schlafen auch noch, ich muss meine Morgenroutine jetzt wohl immer alleine machen, weil Caro nicht mehr da ist. Krankenhaussachen angezogen und ab geht’s in die Küche, um mein Müsli vorzubereiten. Draußen ist es auch noch dunkel, das war vorher nicht so – man merkt, dass es in Kapstadt jetzt Herbst wird. 

Da sieht es auch gar nicht mehr so gut aus, als Teil meiner Routine morgens auf der Terrasse die Sonne zu genießen. Außerdem regnet es heute sowieso. 

Ich habe auch lange überlegt, ob ich überhaupt ins Projekt gehe, da heute ziemlich große Proteste in Kapstadt angekündigt sind, teilweise sogar die Schule abgesagt ist und alle anderen Volunteers zuhause bleiben. Ich entscheide mich aber dafür, mir ein Uber zu bestellen und den Uberfahrer zu fragen, ob meine Zielgegend sicher ist. 

Zähne geputzt, Uber bestellt und los geht es zum Krankenhaus. Der Fahrer meint, meine Gegend ist total sicher, weil die protestierende Partei hier überhaupt gar nicht vertreten ist und es im Krankenhaus wegen der Security ja sowieso sicher ist. 

Der Aufenthalt dort wird sich aber trotzdem anders gestalten als erwartet… 

Jetzt komme ich aber erstmal an und begrüße alle – das meiste fühlt sich schon wieder fast normal an. 

Ich gehe in die Babyklinik und nehme erstmal wieder Blut ab. Bei den ersten beiden Patientinnen klappt das einnbahnfrei und ich habe das Gefühl, ich bekomme wieder einen Rhythmus. Falsch gedacht… 

Ich rufe die nächste Patientin auf, sie setzt sich auf den Stuhl und ich bereite alles vor. Ich suche mir eine Vene an der Hand aus und möchte loslegen. Irgendwie reißt mir mein einer Handschuh, also ziehe ich ihn aus und da es nur die linke Hand ist – und ich hauptsächlich mit der rechten Hand das Blut abnehme, bei der Frau auch schon lange gestaut habe – will ich sie nichtmehr ewig warten lassen und mache es einfach nur mit einem Handschuh. Eine Entscheidung, die ich ab heute jedes Mal anders treffen werde. 

Vene getroffen, Blut abgenommen, Nadel aus der Hand gezogen. 

Nach einem Moment, an den ich mich rückblickend gar nicht mehr erinnern kann, habe ich mir auf einmal mit der Nadel in die linke Hand gepiekst und einen fremden Blutstropfen von der Frau auf meiner Hand. 

SCHÖNE SCHEISSE. 

Der Handschuh hätte das Problem nicht weniger klein gemacht, weil die blutige Nadel sowieso unter meiner Haut war, trotzdem werde ich das nie wieder ohne Handschuhe machen. 

Das ist jetzt auch unwichtig –  ich mache die Röhrchen der Frau fertig, wasche so gut es geht meine Hände und die „Wunde“ ab und sehe bestätigend, dass die Nadel tatsächlich unter meine Haut gegangen ist…

Ich glaube, ihr wisst alle, was das bedeuten kann… HIV, Syphilis,….. Da befinde ich mich auch noch auf dem afrikanischen Kontinent ayayay… 

Ich frage die Frau erstmal nach ihrem Status, sie hat wegen ihrer Schwangerschaft vor 1 Monat einen Test gemacht und alles war negativ. Hm okey, das ist ja schonmal eine gute Nachricht. 

Spoiler Alert von Zukunftsmaite: Durchatmen, die Geschichte geht gut aus.  

Ich weiß von meiner Ausbildung, was alles Mögliche an Prozedere folgt, wenn man sich mit einer dreckigen Nadel sticht… Ich teile der Schwester mein Malheur mit, sie schaut mich ganz mitleidend an und fragt mich, was ich denn für Sachen mache. 

Ich fühle mich so dämlich und unvorsichitig und meine Gedanken drehen sich im Kreis. Wenn alles jetzt schief läuft, habe ich wegen einem kleinen Moment der Unachtsamkeit mein Leben lang HIV?! Kann man das irgendwie noch verhindern? Wie peinlich, dass mir das hier als Praktikantin passiert. Scheiße man, ich hätte auch einfach besser aufpassen können. SCHEISSE SCHEISSE SCHEISSE. Mein erster Tag zurück von der Garden Route und es startet direkt so. Wäre ich doch einfach wegen der Proteste daheim geblieben.

Na gut, nutzt ja alles nichts. Ich fange mich wieder ein bisschen und beginne, mich um meinen Mist zu kümmern. 

Die Schwester erklärt mir, wie das hier alles abläuft und ich lege los.

Als erstes muss ich zur Rezeption – die müssen mir eine Krankenakte anlegen, dass mir Blut abgenommen werden kann und so weiter. 

Ich gehe durch den Seiteneingang und die Frau am Computer schiebt mich vor die ganzen Patient:innen. Sie ist super super freundlich, spricht mir Mut zu und legt mir eine Akte an. Nach maximal 5 Minunten bin ich wieder draußen und mache mich mit meiner Akte auf den Weg zum Arzt. 

Der ist gerade noch beschäftigt und ich warte draußend vor der Tür mit den anderen. Diese Wartezeit fühlt sich an wie eine halbe Ewigkeit… Meine Gedanken haben Zeit, zurückzukehren, aber Mama und Papa werden schonmal informiert. Da bekomme ich ein paar bestärkende Worte zurück und fühle mich schon wieder ein bisschen besser.

Annick steigt auch noch mit ein an Bord und sucht mir mit ihrem medizinischen Wissen ein paar hilfreiche Artikel aus dem Internet raus. Auch wenn der Arzt vielleicht gleich etwas anderes sagt, ist das gut zum beschäftigen und um sich in etwa ein Bild zu machen. 

Dann ist der Arzt mit der vorherigen Patientin fertig und zieht mich auch vor allen anderen vor.

Er verschreibt mir ein HIV-Prophylaxe Medikament, veranlasst die Blutabnahme und klärt mich über das Prozedere dieser Woche auf. Ich beginne ab heute, das Medikament zu nehmen. Falls das Ergebnis positiv ausfallen sollte, besprechen wir, wie es damit weitergeht. Wenn das Ergebnis negativ ist, kann ich ab diesem Tag die Medikamente wieder absetzen. 

Er meint, das Infektionsrisiko bei einer Nadelstichverletzung sei sehr gering, aber eben möglich, weswegen sie sofort alle Register ziehen, bis sie vom Gegenteil überzeugt werden. 

Damit war es das schon und er teilt mir mit, dass die Ergebnisse frühestens am Mittwoch, spätestens am Freitag abrufbar sind. Alles klar. 

Dann ist hier alles erledigt und es geht für mich zum Blut abnehmen. Die Schwester ist total lieb, zieht mich auch wieder vor und sagt „Well I hope you have some great veins to offer“. Ich lache und teile ihr mit, dass ich das sonst auch immer sage und es so komisch ist auf dieser Seite zu sitzen… 

Fühlt sich schon beschissen an. Naja…

Das Blut abzunehmen geht super schnell und unkompliziert – Man, manche Patientinnen heulen ja wirklich rum. Jetzt weiß ich immerhin mal, wie sich das anfühlt, haha. 

20.03.2023 Blut abgenommen

Danach geht es an den unangenehmsten Part für mich – ich muss die Patientin aufklären, dass ihr nochmal Blut abgenommen werden muss, nur weil ich mich gepiekst habe. Bei dem miserablen Tag heute habe ich da wirklich keine Lust drauf, aber gut, da muss man halt drüber stehen. 

Die Frau ist gerade im Vortragszimmer, also muss ich noch warten bis der Vortrag zuende ist. In der Zwischenzeit gehe ich also mit meinem Rezept zur Krankenhausapotheke und hole mir die HIV-Prophylaxe. Der Apotheker kümmert sich direkt und meint auch nochmal zu mir, dass alles gut wird und ich mir keine Gedanken machen soll. 

Menschlich sind die wirklich alle ganz ganz toll und alles wirkt nur noch halb so wild. 

Als der Vortrag der Patientin fertig ist, kläre ich sie auf und sie folgt mir zum Blut abnehmen. Sie ist total verständnisvoll und dafür bedanke ich mich von Herzen.

Die Schwester, die jetzt da ist, mag ich gar nicht. Das ist die, die mal im Pausenraum aus eigener Schuld über meine Füße gestolpert ist und mich dann unfassbar abwertend angeschaut hat. 

Naja kann ich jetzt auch nicht ändern, ich erläutere ihr meine Lage, die sie erst nach mehrmaligem Erklären versteht und dann bekomme ich auch nichts als Vorwürfe an den Kopf geworfen. 

Ich dürfe doch eigentlich gar kein Blut abnehmen und wer mir das denn überhaupt erlaubt habe und dass sie sowas genau nicht erlaube, damit so etwas nicht passiert und dass ich überhaupt nicht versichert sei blablabla. 

Das geht bei mir da rein da raus – ich bin nur froh, dass ich nicht mit ihr zusammenarbeiten muss. Und frage mich mal wieder, wie es jemand mit so wenig Empathie ins Gesundheitswesen geschafft hat… 

Nachdem ich schon locker 10Minuten da bin und die arme Patientin dumm neben mir stehen muss und alles mit anhört (Auch super Marketing fürs Krankenhaus…), frage ich die Schwester erneut, ob sie meine Patientin vorziehen kann, weil diese nur wegen mir gerade hier sein muss und sich in dieser Zeit nicht um ihre Sachen kümmern kann. 

Sie willigt widerwillig ein und schickt mich weg. Ich entschuldige mich nochmal bei der Patientin und hoffe einfach nur, dass die Schwester ihr Wort hält. 

Als ich nach etwa einer halben Stunde wieder an dem Baby-Warteraum vorbeikomme, sitzt die Patientin wieder an ihrem Platz. Ich erkundige mich nochmal, ob alles geklappt hat – Ja, alles erledigt.  

Okey super, dann ist dieser Albtraum-Vormittag damit abgeschlossen für mich. Ich nehme noch die erste Tablette und fertig. 

Gegen 12 Uhr gehe ich schon nach Hause.

Mein Energielevel für dieses Krankenhaus ist für heute definitiv schon lange aufgebraucht. 

Zuhause esse ich Mittag und verbringe den restlichen Tag zuhause. Das Wetter ist nicht wirklich toll und nach dem Vormittag bin ich auch nicht mehr unternehmungslustig. 

Heute Abend ist Nikis letzter Abend und wir wollten eigentlich richtig ordentlich feiern. Wegen der HIV-Medikamente gestaltet sich das bei mir wohl eher etwas schwierig, aber dabei bin ich natürlich trotzdem. Es ist ein wahnsinnig schöner Abend, wir reden einfach viel, spielen Spiele und lachen viel. 

Phil und ich erreichen irgendwann kurz mal eine enorme Kindergarten-Phase und fangen an, uns mit Kronkorken abzuwerfen. Das eskaliert immer weiter, irgendwann finden wir einen Besen und aus Abwerfen mit Kronkorken wird dann Kronkorken- Baseball. MAN macht das Spaß. Die Kronkorken werden bald durch eine alte vetrocknete Scheibe Brot ersetzt, die wir irgendwo finden – keine Ahnung was damit passiert war. Die Mission ist, das Brot jedes Mal zu zerkleinern. 

Phil ist sogar echt ziemlich gut – ich mehr schlecht als recht haha. 

Der Besen wird bald durch eine Cola-Flasche ersetzt, weil wir glauben, dass die besser zu handhaben ist. Nachdem diese zwei Mal aufgrund fehlenden Festhaltens durch den Raum segelt, siegt endlich die Vernunft und wir brechen ab. 

Spaß gemacht hat das aber trotzdem enorm haha. Es folgt noch ein Bottleflip Battle.

Ich find’s total schön, dass ich von meinem beschissenen Tag abgelenkt werde, weil hier so so viele tolle Menschen mit mir im Haus sind, die mir einfach ein gutes Gefühl geben. Das bedeutet mir super viel. 

20.03.2023 Tolle Menschen<3

Anschließend gibt es eine kleine tränenreiche Pause – Nikis letzter Abend und alle bemerken, dass sich für fast jeden von uns das Abenteuer Kapstadt langsam dem Ende nähert… 

Und dass es diese Gruppe dann lange oder nie wieder so geben wird. Schon verrückt, man lebt diese ganze Zeit hier gemeinsam in einem Haus und dann geht jeder wieder seinen eigenen Weg. 

Einige gekullerte Tränen, viele dicke feste Umarmungen – dann geht der Abend weiter. 

20.03.2023 Nikkkkkkk

Mit Niki hab ich auch so so viel gelacht in den letzten Tagen. Schon schade, wenn Menschen dann erstmal wieder aus dem Leben verschwinden. Aber umso toller, dass man sie getroffen hat. Phil kommt aus Regensburg und Nik aus Nürnberg – also schaffen wir das, uns mal zu treffen, wenn ich wieder zurück bin 🙂 Und dann wird natürlich Vivaldi gespielt:

20.03.2023 Wolfgang Amadeus Müller und sein Kompane

Phil sitzt neben mir auf dem Sofa, ich sage ihm, dass er schlecht in Cooking Fever ist und er kippt mir eine komplette Wasserflasche über den Kopf….. Also wird der restliche Abend mit einem nassen Tshirt und seiner Mütze verbracht.  

Bis das nächste Drama angeflogen kommt, das den ganzen Abend crasht. Es ist etwas aufgekommen, das viele hier betrifft und wohl schon seit Wochen im Haus schlummert. Ich weiß davon bis zu diesem Abend nichts, außer dass es jetzt Nikis letzten Abend kaputtmacht. Das tut mir so leid, ich versuche die ganze Zeit, ihn aufzuheitern und gute Stimmung zu machen, aber alle anderen führen trotzdem immer wieder Einzelgespräche, sind mega abgefuckt und und und. Es kracht ziemlich und es ist schwierig, danach wieder die Kurve zu bekommen. Der Abend neigt sich dann bald auch dem Ende zu und so richtig geklärt ist das Drama aber trotzdem nicht… 

Naja, das passiert halt manchmal.
Für mich geht es mit einem mittlerweile wieder trockenen Tshirt ins Bett. 

Bussi Bussis,

~Maite

Ein Kommentar bei „Nadelstich und Abschiedspartyyy“

  1. Hellö Mozart oder Beethoven??
    Egal Hauptsache Vivaldi ❤️
    Bussis von Mama

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